Mein zweiter Tag bei der Berlinale - wir schreiben den 18. Februar 2010
Für Berlinale-Kenner heißt dies natürlich: Tag 9.
An diesem Tag konnte ich mal wieder mein Unvermögen unter Beweis stellen, vernünftige Interviews zu führen bzw. Stellungnahmen zum Film einzuholen. Andererseits: Es ist zum Teil auch erklärbar. Es soll nämlich auch Leute geben, die einen Film erst einmal für sich verarbeiten müssen, bevor sie ein Urteil abgeben können. Ich gehöre zu dieser Kategorie Menschen. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Auch wenn ich gerne ins Kino gehe, ist das Sehen eines Filmes für mich ein intimes Ereignis, nicht nur, weil ich ungern anderen und fremden meine Tränen offenbare.
Doch nun genug der Seelenschau, kommen wir zu großem Kino
Auf folgendem Bild seht ihr - nicht das bzw. den, den ihr sehen solltet:
Aber mit ein bisschen Phantasie und Wunschdenken könntet ihr jemanden entdecken, der ein Genießer ist und sich gut ernährt und ein Franzose ist...
Und, oh Wunder! - schon haben wir die - meines Erachtens nicht allzu plump geratene - Überleitung zum für mich wahren filmischen Highlight des Abends, in dem es auch um die richtige Ernährung bzw. die richtige Erziehung geht: "The Kids Are All Right" von Lisa Cholodenko.
Ein Hoch auf eine unkonventionelle Familie
Ihr neuer Film (schaut euch unbedingt auch einmal Laurel Canyon aus dem Jahre 2002 an) zeigt uns eine Patchwork-Familie der anderen Art: Vater, Mutter und zwei heranwachsende Kinder. So weit, so normal. Nur werden Vater- und Mutterrolle in diesem Fall von zwei Frauen erfüllt, und es lässt sich schwer ausmachen, wer welchen Part übernommen hat in der klassischen Konstellation einer Familie. Nic (Annette Bening) könnte dabei am ehesten den Vater mimen, ist sie doch Ärztin (Randnotiz: Sie ist Gynäkologin) und somit die Ernährerin der Familie. Jules (Julianne Moore) ist mit ihrer Hippie-esken Art der Gegenpart zur wohlorganisierten Nic. Beide kümmern sich fürsorglich um ihre Kinder, den 15-jährigen Laser und die gerade 18 Jahre alt gewordene Joni. Eigentlich fühlen sich alle unter diesen Umständen komplett und agieren alles andere als dysfunktional - im Gegensatz zur Familie von Lasers Kumpel Clay. Der Samenspender des Lebens, der biologische Vater bleibt in dieser Konstellation allerdings außen vor. Die Homosexuellen-Ehe - so scheint es - hat sich emanzipiert, sich aus den alten Zwängen der Gesellschaft gelöst, man bzw. frau ist akzeptiert, die Familie in Harmonie. Doch Handlung ist Konflikt und so bittet Laser seine volljährige Schwester bei der Klinik, in der die künstliche Befruchtung stattgefunden hat, anzurufen und Kontakt zum Spender-Vater herzustellen. Paul (Mark Ruffalo - gleich zweimal auf der Berlinale neben Shutter Island vertreten) staunt nicht schlecht, als ihn seine Tochter anruft, doch steht er dieser neuen Erfahrung offen gegenüber und sagt einem Treffen mit seinen "Kindern" zu.
Während diese sowie Jules schnell Gefallen finden an dem von sich selbst überzeugten Alternativkünstler (er betreibt eine Biofarm und ein dementsprechend biologisch orientiertes Restaurant), sieht Nic in ihm nichts anderes als einen Eindringling in ihr Familienleben (und outet sich spätestens an dieser Stelle als der pater familias).
Ja, Männer kommen in dieser Komödie des rechten Tons (damit meine ich die ernsten Zwischentöne an der richtigen Stelle) schlecht weg. Und als demanzipierter Mann wie ich lacht man auch gerne mit. Man wird Zeuge der Entmythologisierung des Mannes als Ernährer der Keimzelle der Gesellschaft - mit Bioprodukten und sagt: Brava!
Da der Film eher beschaulich in der Machart daherkommt (außer in den kurzen Skateboard-Szenen) kann man sich auf Figurenzeichnung und das Skript konzentrieren. Man sollte dabei auf die Haarspur achten. Witzig, dass auch Frauen (mit kurzen Haaren) sich über Haare im Siffon aufregen können. Aber kaum eine Story kann ohne Klischees auskommen. Wenn man also einen Film über die Umkehrung der Geschlechterrollenverteilung aufgrund anderer sexueller Präferenzen macht, muss dem Sohn aus einer Lesbenbeziehung von seinen Eltern auch unterstellt werden, er könne schwul werden. Ist das realiter auch so oder doch nur Hollywood-hypothetisch?
Letzte Fragen
Im Rahmen der Retrospektive auf der Berlinale wurde eine Auswahl von Filmen zusammengestellt, die zu gegebenen Zeiten für Aufsehen und Proteste gesorgt haben ("Ekel", "Im Reich der Sinne") oder in irgendeiner Form Gegenstand von kritischer Reflektion über den Status Quo einer Gesellschaft waren ("Die durch die Hölle gehen", "Stammheim").
Welchen Stellenwert dabei ein Film wie "The Kids Are all right" einnehmen wird, ob er gar die Frauenbewegung (noch) weiter vorantreibt, bleibt offen. Dass der Film allerdings sehr gut bei den Frauen ankommt, zeigt der Zuspruch, den er in Form von (Szenen-)Applaus erfahren hat. Ich als angehender Frauenversteher kann dem nur beipflichten.
An diesem Tag konnte ich mal wieder mein Unvermögen unter Beweis stellen, vernünftige Interviews zu führen bzw. Stellungnahmen zum Film einzuholen. Andererseits: Es ist zum Teil auch erklärbar. Es soll nämlich auch Leute geben, die einen Film erst einmal für sich verarbeiten müssen, bevor sie ein Urteil abgeben können. Ich gehöre zu dieser Kategorie Menschen. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Auch wenn ich gerne ins Kino gehe, ist das Sehen eines Filmes für mich ein intimes Ereignis, nicht nur, weil ich ungern anderen und fremden meine Tränen offenbare.
Doch nun genug der Seelenschau, kommen wir zu großem Kino
Auf folgendem Bild seht ihr - nicht das bzw. den, den ihr sehen solltet:
Aber mit ein bisschen Phantasie und Wunschdenken könntet ihr jemanden entdecken, der ein Genießer ist und sich gut ernährt und ein Franzose ist...
Und, oh Wunder! - schon haben wir die - meines Erachtens nicht allzu plump geratene - Überleitung zum für mich wahren filmischen Highlight des Abends, in dem es auch um die richtige Ernährung bzw. die richtige Erziehung geht: "The Kids Are All Right" von Lisa Cholodenko.
Ein Hoch auf eine unkonventionelle Familie
Ihr neuer Film (schaut euch unbedingt auch einmal Laurel Canyon aus dem Jahre 2002 an) zeigt uns eine Patchwork-Familie der anderen Art: Vater, Mutter und zwei heranwachsende Kinder. So weit, so normal. Nur werden Vater- und Mutterrolle in diesem Fall von zwei Frauen erfüllt, und es lässt sich schwer ausmachen, wer welchen Part übernommen hat in der klassischen Konstellation einer Familie. Nic (Annette Bening) könnte dabei am ehesten den Vater mimen, ist sie doch Ärztin (Randnotiz: Sie ist Gynäkologin) und somit die Ernährerin der Familie. Jules (Julianne Moore) ist mit ihrer Hippie-esken Art der Gegenpart zur wohlorganisierten Nic. Beide kümmern sich fürsorglich um ihre Kinder, den 15-jährigen Laser und die gerade 18 Jahre alt gewordene Joni. Eigentlich fühlen sich alle unter diesen Umständen komplett und agieren alles andere als dysfunktional - im Gegensatz zur Familie von Lasers Kumpel Clay. Der Samenspender des Lebens, der biologische Vater bleibt in dieser Konstellation allerdings außen vor. Die Homosexuellen-Ehe - so scheint es - hat sich emanzipiert, sich aus den alten Zwängen der Gesellschaft gelöst, man bzw. frau ist akzeptiert, die Familie in Harmonie. Doch Handlung ist Konflikt und so bittet Laser seine volljährige Schwester bei der Klinik, in der die künstliche Befruchtung stattgefunden hat, anzurufen und Kontakt zum Spender-Vater herzustellen. Paul (Mark Ruffalo - gleich zweimal auf der Berlinale neben Shutter Island vertreten) staunt nicht schlecht, als ihn seine Tochter anruft, doch steht er dieser neuen Erfahrung offen gegenüber und sagt einem Treffen mit seinen "Kindern" zu.
Während diese sowie Jules schnell Gefallen finden an dem von sich selbst überzeugten Alternativkünstler (er betreibt eine Biofarm und ein dementsprechend biologisch orientiertes Restaurant), sieht Nic in ihm nichts anderes als einen Eindringling in ihr Familienleben (und outet sich spätestens an dieser Stelle als der pater familias).
Ja, Männer kommen in dieser Komödie des rechten Tons (damit meine ich die ernsten Zwischentöne an der richtigen Stelle) schlecht weg. Und als demanzipierter Mann wie ich lacht man auch gerne mit. Man wird Zeuge der Entmythologisierung des Mannes als Ernährer der Keimzelle der Gesellschaft - mit Bioprodukten und sagt: Brava!
Da der Film eher beschaulich in der Machart daherkommt (außer in den kurzen Skateboard-Szenen) kann man sich auf Figurenzeichnung und das Skript konzentrieren. Man sollte dabei auf die Haarspur achten. Witzig, dass auch Frauen (mit kurzen Haaren) sich über Haare im Siffon aufregen können. Aber kaum eine Story kann ohne Klischees auskommen. Wenn man also einen Film über die Umkehrung der Geschlechterrollenverteilung aufgrund anderer sexueller Präferenzen macht, muss dem Sohn aus einer Lesbenbeziehung von seinen Eltern auch unterstellt werden, er könne schwul werden. Ist das realiter auch so oder doch nur Hollywood-hypothetisch?
Letzte Fragen
Im Rahmen der Retrospektive auf der Berlinale wurde eine Auswahl von Filmen zusammengestellt, die zu gegebenen Zeiten für Aufsehen und Proteste gesorgt haben ("Ekel", "Im Reich der Sinne") oder in irgendeiner Form Gegenstand von kritischer Reflektion über den Status Quo einer Gesellschaft waren ("Die durch die Hölle gehen", "Stammheim").
Welchen Stellenwert dabei ein Film wie "The Kids Are all right" einnehmen wird, ob er gar die Frauenbewegung (noch) weiter vorantreibt, bleibt offen. Dass der Film allerdings sehr gut bei den Frauen ankommt, zeigt der Zuspruch, den er in Form von (Szenen-)Applaus erfahren hat. Ich als angehender Frauenversteher kann dem nur beipflichten.
Elman Smithee - 18. Feb, 23:48